Auszeit

Ich liebe meine Freunde.

Meine Freundinnen sind die Art von Freundinnen, die dir selbst gebackene Plätzchen an Weihnachten per Post schicken und einen aufmunternden Brief mit Fotos wenn dein Hund stirbt.

Es ist die Art von Freunden, die dich besuchen kommen wenn es dir richtig schlecht geht. Damit meine ich keinen Liebeskummer, sondern ein – völlig am Boden inmitten deiner existenzielle Krise – schlecht. Die Art von Freundinnen, die es dann immer noch schaffen, dir das Gefühl zu geben, dass es noch ein Weiter und ein Zurück gibt.

Die Art von Freunden.

Trotz all dem sind da immer wieder diese Auszeiten. Eine Art Blaupause für alles kommende, in der ich einfach nicht reden, weinen, lachen oder irgendetwas möchte. Eine Art, einmal eine Zeit lang nicht existieren.

Es übermannt mich und schon sind drei Wochen um und unzählige Anrufe, Trauerbekundungen und Beschwerden von meiner Familie und Freunden auf dem Handy, über meinen plötzlichen sozialen Tod.

Wie gerne hätte ich das „bohemian gypset“ Leben als Ausrede, ein Van-Life als unabhängige Yogalehrerin entlang der Westküste Europas oder wenigstens lange Wanderungen zum Santiago de compostela mit schlechtem Handyempfang entlang des Weges.

Die Wirklichkeit aber ist so viel uninteressanter. In der Wirklichkeit hat mein Konto einfach hin und wieder Filterkaffe-Käsebrot-Stand, ich schaue zum hundertsten mal alle Folgen der Gilmore Girls und tagelanges Nichtwaschen soll ganz gut sein für den PH-Wert der Haut.

Und dieses uninteressante, völlig sinnlose Nichtstun an sich ist bestimmt auch nicht so ungesund wie manch einer denken mag.

Dieses süße soziale Koma aber wäre nichts, wenn ich nicht wüsste, dass die Menschen, die ich liebe derweil Pläne schmieden, sich verabreden, vielleicht hier und da einmal das Tempolimit überschreiten und mir dann im Nachhinein von all dem berichten.

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Ich liebe meine Freunde denn so vieles wäre ohne sie nicht das Gleiche, vor allem meine kleine Auszeit wäre ein Nichts.

 

Äpfel pflücken

20 vor eins, mein Vater kommt um 14 Uhr.

Wenn wir um 13 Uhr verabredet wären, würde er folgendes vorfinden: einen mit Rechnungen überquellenden Briefkasten, Türme von ungewaschenem Geschirr und seine einzige Tochter die sich das letzte mal vor vier Tagen gewaschen hat.

Die Wohnung spiegelt meinen momentanen Zustand wider; das letzte mal baden war ich am Donnerstag. Der Besuch in der heimatlichen Kultkneipe am Freitag ging auch noch mit Mütze und einem sauberen Hemd. Zähneputzen aus genommen, dentale Hygiene ist schließlich ein Stück Welt.

Seit Anfang des Jahres geht es nur noch um eins, die Finanzierung auf dem Weg eine Yogalehrerin zu werden. Alles andere ist jetzt nicht direkt egal, aber schon ziemlich nebensächlich. „Da muss man Prioritäten setzen“, sagt mein Vater so gerne. Wird gemacht!

Drohende Anschlusssperre von RheinEnergie – sekundär.

Völlig ungeklärte Arbeitsverhältnisse neben dem Studium – präsekundär. Macht schließlich keinen Sinn Briefe mit Forderungen zu öffnen die man bei dem stehenden Arbeitsverhältnis sowieso nicht auslösen kann.

Und die viel gestellte Frage an Weihnachten nach dem Verlauf meines Studiums. Bachelor – tertiär.

Mein wie ich finde Totschlagargument: die Uni steht seit 1833. Ich allerdings bin jetzt 26 und wer Yoga machen möchte fängt besser gestern an als heute.

Nur allzu gut, dass der Herr der den Samen für mein Leben sähte, sich verspätet. Der Apfel fällt nicht weit… So habe ich eine realistische Chance von meinem Zustand und dem der Wohnung abzulenken, damit wir uns auf das Wesentliche konzentrieren können.

Die Versteckräum-Aktion läuft demnach folgender Maßen, während ich in der Wanne sitze und wie eine Dreijährige einen Springbrunnen nachahme, läuft Jan völlig panisch mit dem Trockentuch durch die Wohnung. Und nachdem ich es um 14.30 geschafft habe mich zu baden und eine zweite Kanne Kaffee anzusetzen hat er bereits den kompletten Spül, sich selbst und die Wäsche gewaschen.

Bei all den Problemen die das Leben als mittellose, Mittzwanzigerin so mit sich bringt, braucht es nämlich hin und wieder einen Jemand, der einem unter die Arme greift damit man eventuell auch mal hoch genug kommt um sich den Apfel selbst zu pflücken, den man schon so lange ins Auge gefasst hat.

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Pflücken lassen ist schließlich was für Prinzessinnen.